Wie Urheber- und Markenrechtsvertreter den Schutz geografischer Herkunftsangaben in Domains EU-rechtlich verankern lassen wollen.
Ob Balsamico di Modena oder Côtes de Bordeaux, Thüringer Rostbratwurst oder Lübecker Marzipan: Wer von uns kennt – und mag – sie nicht, die oft ganz besonderen kulinarischen Leckerbissen, die ihre Wurzeln in einer bestimmten Gegend haben oder in einem bestimmten Ort? Und die, um sich mit dieser Bezeichnung schmücken zu dürfen, nicht nur über einmalige charakteristische Eigenschaften verfügen, sondern auch vollständig oder zu einem wesentlichen Teil lokal im Herkunftsgebiet hergestellt sein müssen, nach einem traditionellen Rezept oder speziellen Produktionsverfahren festgelegter Güte.
Vorausgesetzt, sie wurden im jeweiligen Mitgliedstaat bei der zuständigen Behörde eingetragen – hierzulande etwa beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) – und in das Unionsregister für geografische Angaben, eAmbrosia, aufgenommen, genießen solche landwirtschaftlichen Produkte und Lebensmittel schon heute EU-weit einen besonderen gesetzlichen Schutz: den der so genannten geografischen Herkunftsangabe.
Nach dem Willen der EU-Kommission soll dieser Schutz nun zusätzlich auf Erzeugnisse aus dem handwerklich-industriellen Bereich ausgedehnt werden – und künftig außerdem Domains miteinschließen.
DAS REGULATORISCHE SETTING
Damit war der Rahmen abgesteckt für einen Vorstoß der EU-Kommission im Frühjahr 2022 mit dem Ziel, die Schutzrechte von Erzeugnissen mit eingetragener geografischer Herkunftsangabe im gemeinsamen Binnenmarkt weiter zu stärken. Solche Produkte, so hieß es zur Begründung, verknüpften nicht nur ökonomisches Kapital mit kultureller Identität. Wegen ihrer hohen Qualität setzten Verbraucherinnen und Verbraucher auch großes Vertrauen in sie und müssten sich daher auf wirksame Echtheitskontrollen und Rechtsdurchsetzung bei ihrer Verwendung und Vermarktung in der gesamten Union, und angesichts des zunehmenden Onlinehandels auch im elektronischen Geschäftsverkehr, verlassen können.
Zu diesem Zweck veröffentlichte die Kommission zwei Vorschläge für Verordnungen zur Reform von geografischen Herkunftsangaben. Ein Vorschlag sah die Verbesserung der bestehenden Regulierung für Agrarerzeugnisse vor (Regulation on Geographical Indication Protection for Agricultural Products), während der andere Vorschlag anstrebte, den Schutz geografischer Herkunftsangaben erstmals auch auf handwerklich und industriell gefertigte Güter auszuweiten (Regulation on Geographical Indication Protection for Craft and Industrial Products).
Beiden Vorschlägen zufolge sollte der Schutz geografischer Herkunftsangaben künftig auch in Bezug auf Domainnamen gelten und ein so genanntes Informations- und Warnsystem für Domainnamen („Domain Name Information and Alert System“, kurz: „DIAS“) geschaffen werden – angesiedelt beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum, EUIPO. Damit einhergehende Verpflichtungen, wie ein entsprechendes Registrierungsmonitoring und die Kooperation mit dem EUIPO, sollten demnach ausschließlich den in der EU ansässigen ccTLD-Registries auferlegt werden – also etwa dafür zu sorgen, dass die Registrierung von Domainstrings geschützter Erzeugnisse durch Dritte verhindert bzw. bereits durch Dritte registrierte, einschlägige Domains gelöscht oder an die Rechteinhaber übertragen werden.
DIE ENTWICKLUNG IM REGULATORISCHEN PROZESS
So weit der ursprüngliche Vorschlag der Kommission. Aber wie hat sich das Vorhaben auf dem Weg durch die weiteren EU-Instanzen seitdem entwickelt? Denn auf Unionsebene hat zwar grundsätzlich nur die Kommission das Recht, Gesetzentwürfe vorzulegen. Doch seit 2007, mit der Unterzeichnung des Vertrags von Lissabon, sind das Europäische Parlament und der EU-Ministerrat gleichberechtigte Gesetzgeber. Sprich, beide Gremien müssen einem Entwurf zustimmen, damit das Gesetz verabschiedet werden kann. Gelingt dies – wie in den meisten Fällen – nicht auf Anhieb, so müssen sie eine Kompromisslösung aushandeln: in Vermittlungsausschüssen im Rahmen der sogenannten Trilogs.
Dass für die beiden Gesetzesvorhaben zu geografischen Herkunftsangaben unterschiedliche Fachausschüsse im EU-Parlament federführend sind, macht die Sache im vorliegenden Fall nicht einfacher. So ist Stand jetzt nicht auszuschließen, dass bestimmte Anforderungen an die Domainwirtschaft für Agrarprodukte gelten werden, nicht aber für handwerkliche Erzeugnisse.
Eine vorläufige Entwarnung signalisierten Anfang Mai zumindest die Ergebnisse der interinstitutionellen Verhandlungen zum Schutz von Gütern aus dem handwerklich-industriellen Bereich: Dort waren die Parteien übereingekommen, das geplante Domain Name Information and Alert System (DIAS) fürs Erste aus dem Verordnungstext zu streichen. Allerdings nur mit aufschiebender Wirkung, denn im Zuge einer Evaluierungsprüfung der Wirksamkeit des Gesetzes ist die Kommission angehalten, binnen 18 Monaten nach dessen Inkrafttreten Parlament und Rat Rapport über die Machbarkeit eines DIAS zur Missbrauchsprävention zu erstatten – und, falls nötig, eine erweiternde Gesetzesinitiative vorzulegen. Das ausverhandelte Paket sieht außerdem vor, dass europäische ccTLD-Registries mit alternativen Dispute-Verfahren (ADR) die Geltendmachung von Rechten, die sich aus eingetragenen geografischen Herkunftsangaben ergeben, bei Domainstreitigkeiten zu akzeptieren haben. Die vorläufige Vereinbarung muss noch formell durch Ministerrat und Parlament angenommen werden.
Derzeit weniger weit fortgeschritten ist der Einigungsprozess im Hinblick auf die Verordnung zum Schutz geografischer Herkunftsangaben im Agrarsektor: Zwar haben die Regierungen der Mitgliedstaaten ihre Verhandlungsposition Anfang Mai festgelegt – auch hier fordern sie lediglich die Einrichtung bzw. Adaptierung alternativer Dispute-Verfahren und halten ein DIAS für entbehrlich. Das Parlament hingegen will laut Plenumsbeschluss vom 1. Juni, auf Empfehlung des Agrarausschusses, an den weitreichenden Auflagen für die Domainwirtschaft festhalten und sogar noch weitere hinzufügen: Nach wie vor bestehen die Abgeordneten auf der Einrichtung eines DIAS mit EU-weiter Überwachung potenziell konfliktärer Domainregistrierungen durch das EUIPO. Zusätzlich sprechen die Parlamentarier sich dafür aus, die Anerkennung und den Schutz bestehender Rechte an geografischen Herkunftsangaben für landwirtschaftliche Produkte in Domains nicht nur innerhalb der EU zu verankern, sondern von Kommissionsseite auch international, auf der Ebene von ICANN und innerhalb des UDRP-Schlichtungsverfahrens, anzustreben. Immerhin: Den ursprünglichen, wettbewerbsverzerrenden Passus des Gesetzentwurfs der Kommission, wonach etwaige Bestimmungen allein für (in der EU ansässige) ccTLD-Registries gelten sollten, wollen sowohl Rat als auch Parlament einkassieren. Auf dieser Basis sollen nun die Verhandlungen mit den EU-Ländern über die endgültige Form des Gesetzes beginnen.
BEWERTUNG UND REAKTION DURCH DIE COMMUNITY
Auf EU-Ebene lassen sich zunehmend spezialisierte Regulierungsbestrebungen von Nischenakteuren beobachten. Diesem Trend als Branchen-Community mit Nachdruck entgegenzuwirken, wurde erst kürzlich im Rahmen des diesjährigen CENTR Jamboree – der Jahrestagung des Dachverbands der europäischen ccTLD-Registries, in dem auch DENIC seit dessen Gründung im Jahr 1998 aktiv ist – erneut bekräftigt.
Im September 2022 veröffentlichte CENTR im Namen seiner Mitglieder eine Verbandsstellungnahme zur geplanten Reform der geografischen Herkunftsangaben in der EU und leitete sie der verantwortlichen Generaldirektion innerhalb der Kommission zu. Darin werden die Gründe dargelegt, warum die europäischen ccTLDs, die seit Langem effektive Instrumente und Prozesse zum Schutz gegen unrechtmäßige Domainregistrierungen etabliert haben, keine Notwendigkeit für die geplanten Regulierungen sehen. Neben datenschutzrechtlichen Bedenken werten die CENTR-Mitglieder auch die Aufwände zulasten einzelner Marktteilnehmer kritisch, die aus solchen Maßnahmen entständen.
Eine von CENTR im November 2022 in Auftrag gegebene und im Januar 2023 veröffentlichte unabhängige Studie untersuchte zudem die geringe Anzahl bisheriger Streitfälle zu Herkunftsbezeichnungen in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten, die ausnahmslos durch bereits bestehende alternative Streitschlichtungsverfahren (ADR) beigelegt werden konnten, und belegte somit den überregulierenden Effekt des Vorhabens. In Deutschland etwa wurde bislang ein einziger Fall gerichtlich verhandelt.