Vom Beobachter zum Akteur:  Kurswechsel in Deutschlands globalem, digitalpolitischem Engagement

Vom Beobachter zum Akteur: Kurswechsel in Deutschlands globalem, digitalpolitischem Engagement

Mehr Multistakeholder, mehr Gestaltungswillen: Deutschlands Digitalpolitik setzt neue Prioritäten – auch international. Eine Analyse.

Es war eine ganze Serie von Konsultationen, an denen sich – DENIC inklusive – über 100 Stakeholder beteiligten, ehe am 7. Februar das Versprechen eines wichtigen Etappenziels der Bundesregierung offiziell eingelöst war: Mit der ersten, durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) vorgelegten Strategie für Internationale Digitalpolitik hat die deutsche Regierung einen ambitionierten Meilenstein erreicht, den sie sich im August 2022, als Teil der Digitalstrategie Deutschland, selbst verordnet hatte. Ein Handlungsrahmen für neue digitalpolitische Akzente jenseits der deutschen Grenzen, der sich einreiht in den Kanon der bereits zuvor verabschiedeten Cybersicherheitsstrategie für Deutschland (von August 2021) und der Nationalen Sicherheitsstrategie (von Juni 2023).

Der Anspruch: Deutschlands bisher weitgehende Zurückhaltung auf dem internationalen digitalen Parkett aufzugeben zugunsten einer Politik der klaren Kante, wenn es darum geht, sich weltweit gemeinsam für den Schutz des offenen, freien und sicheren Internet und gegen seine politische Vereinnahmung durch Zensur und Netzsperren stark zu machen – so brachte Bundesdigitalminister Volker Wissing es nach dem Kabinettsbeschluss vergangene Woche in einem Presse-Statement auf den Punkt.

Füße stillhalten war gestern:
mehr Einsatz – mehr klare Kante

Internationale Digitalpolitik gilt inzwischen als „strategisches Handlungsfeld für die Wahrung unserer Interessen und die Förderung unserer Werte“, wie es in dem Strategiepapier der Bundesregierung heißt. Damit setzt sie eine wichtige, seit Langem fällige Erkenntnis um: In einem sich zuspitzenden geopolitischen Umfeld, in dem digitale Technologien mehr und mehr als politischer Faktor wirken, können Deutschland und Europa es sich schlichtweg nicht mehr leisten, größtenteils von der Seitenlinie zuzusehen, sondern sind gefordert, den internationalen digitalen Raum der Gegenwart und Zukunft aktiv mitzugestalten. Neues Zielbild ist demnach eine globale digitale Ordnung, die auf menschenzentrierten und innovationsfreundlichen Regeln beruht und so Demokratie und Freiheit ebenso fördert wie Wohlstand, Nachhaltigkeit und Resilienz.

Eng abgestimmt mit den anderen EU-Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission, will die Bundesregierung künftig ihr Engagement in allen relevanten, zwischenstaatlichen Gremien intensivieren und sich dort stärker als bisher für diese Werte einsetzen: auf der Ebene von G7 und G20 bis hin zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), vom Europarat bis zur Welthandelsorganisation (WTO), von der Weltbank bis zu den Vereinten Nationen (UN).

Einem rein multilateralen Ansatz zur Regelung digitalpolitischer Fragen erteilt die Regierung hingegen weiterhin eine Absage: Ganz außer Zweifel steht ihr klares Bekenntnis zur Selbstverwaltung der technischen Internetressourcen durch die Multistakeholder-Community im Rahmen von ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) wie auch zum Internet Governance Forum (IGF) der Vereinten Nationen, das auf demselben inklusiven Ansatz digitaler Teilhabe beruht.

Hellhörig macht umgekehrt der in dieser Form neue Vorstoß und Anspruch der deutschen Politik, durch die gezielte Förderung von deutscher Beteiligung an internationalen technischen Standardisierungsverfahren im Bereich digitaler Technologien verstärkt dafür Sorge tragen zu wollen, dass diese neutralen Regeln folgen und nicht politisch unterwandert werden.

Worauf es jetzt ankommt:
den Worten Taten folgen lassen

Die neue Strategie soll langfristiger Kompass sein für eine aktive und kohärente Ausgestaltung von Deutschlands Digitalpolitik, Auftakt und Grundlage für einen fortlaufenden Prozess, in dem jedes Ressort, unter Federführung des BMDV, ihre Umsetzung aktiv vorantreiben wird. Doch was bedeutet das konkret?

Den Anfang machen soll die kurzfristige Schaffung einer gesonderten Beobachterstelle für Fragen der internationalen Digitalpolitik auf höchster politischer Ebene, innerhalb Deutschlands Ständiger Vertretung bei den Vereinten Nationen in New York. Dort haben im Februar die Konsultationen zum Global Digital Compact begonnen – einer UN-Initiative im Vorfeld ihres Zukunftsgipfels im Dezember 2024, die das jahrzehntelang bewährte Multistakeholder-Modell der Internet Governance infrage stellen könnte.

Auch einen erneuten Anlauf, um sich eine Führungsposition innerhalb der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) zu sichern, möchte die Bundesregierung starten – die Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die sich als einzige völkerrechtlich verankerte internationale Organisation offiziell mit der weltweiten Koordinierung von technischen Aspekten der Telekommunikation beschäftigt, hat ihre Ambitionen nie ganz aufgegeben, eigene Zuständigkeiten für Domains und IP-Adressen zu beanspruchen, anstatt sie – wie derzeit – den regierungsunabhängigen Internetverwaltern von ICANN überlassen zu müssen.

Flankierend zu den Ansätzen für mehr Einflussnahme in den etablierten multilateralen Foren setzt die Bundesregierung in ihrem Einsatz für das freie, offene und sichere Internet gemäß den Grundsätzen der Strategie auch zunehmend auf wertebasierte Technologiepartnerschaften mit demokratischen und gleichgesinnten Partnerländern, vor allem im Globalen Süden. Im Bundeshaushalt 2024 wurden die bereitgestellten Mittel zur breiteren Einbeziehung der internationalen Zivilgesellschaft in die digitalpolitischen Dialoge, die dem gegenseitigen Austausch und Kapazitätsaufbau zur Entwicklung geeigneter Rahmenbedingungen für den digitalen Wandel dienen, auf drei Millionen Euro verdoppelt.

Paradigmenwechsel der globalen deutschen Digitalpolitik:
die bedeutendsten Commitments aus DENIC-Sicht

Die Strategie für internationale Digitalpolitik ist das Ergebnis eines inklusiven Erarbeitungsprozesses, der im Jahresverlauf 2023 mehrere Konsultationsrunden umfasste. Als wesentlicher Protagonist der technischen Community in Deutschland hat DENIC die offenen Dialogformate der Regierung nicht nur aufmerksam verfolgt, sondern war als Stakeholder auch aktiv daran beteiligt – gemeinsam mit über einhundert zivilgesellschaftlichen Initiativen, Forschungseinrichtungen, Wirtschaftsvertretern und Digitalverbänden.

An dem nun veröffentlichten Handlungsrahmen für eine aktive internationale Digitalpolitik begrüßt und unterstützt auch DENIC nachdrücklich die Ziele, die die Überwindung der digitalen Kluft und den Menschenrechtsschutz im digitalen Wandel anstreben, die weltweite nachhaltige Gestaltung von Digitalisierung und die Nutzung ihres Potenzials, um globalen Herausforderungen wie den Folgen des Klimawandels effektiv zu begegnen.

Als besonderen Erfolg und Zeichen dafür, dass sich unser fortwährendes Engagement gelohnt hat und weiter lohnt, werten wir jedoch vor allem, dass die Bundesregierung sich in ihrer Strategie eine Reihe maßgeblicher Grundsätze auf die Fahnen schreibt, die seit jeher auch zentrale Anliegen der technischen Community sind. Dazu gehören:

(1)
das aktive Eintreten für ein globales, offenes, freies und sicheres Internet und für die Verankerung seiner Grundsätze in multilateralen Abkommen und Regelwerken;

(2)
der Einsatz für die Integrität, Vertraulichkeit und Verfügbarkeit von Informations- und Telekommunikationssystemen, die eine sichere Nutzung digitaler Technologien durch alle Nutzer ermöglichen;

(3)
das klare Bekenntnis zu demokratischen Werten und zum Modell der Multistakeholder-Governance sowie die Förderung von Multistakeholder-Formaten zur Erarbeitung universeller Prinzipien und Regeln für den digitalen Raum, einschließlich technischer Normen und Standards;

(4)
die Unterstützung der zentralen Rolle und zukunftssicheren Entwicklung etablierter Institutionen der technischen Internet Governance, namentlich die Verwaltung der Internetressourcen durch ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) und die Weiterentwicklung des Internet durch die IETF (Internet Engineering Task Force);

(5)
die Förderung nationaler und internationaler Initiativen zur Weiterentwicklung und Sicherheit von Open Source-Basistechnologien als wichtige technische Bausteine des globalen Internet und Basis digitaler Souveränität.

Fazit

Das Prinzip demokratischer Beteiligung hält DENIC schon qua seiner Organisationsform als Genossenschaft grundsätzlich hoch und spricht sich daher stets für eine stärkere Partizipation aller beteiligten Player auch im digitalpolitischen Kontext aus.

Auf nationaler Ebene gab es dazu zuletzt vielversprechende Ansätze der Politik, lokale Interessengruppen wie Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und technische Community besser zu informieren und intensiver in Planungs- und Umsetzungsprozesse einzubinden: ganz allgemein durch das verstärkte Engagement der Bundesregierung im Internet Governance Forum Deutschland (IGF-D) – und speziell durch die vom BMDV in Zusammenarbeit mit dem von DENIC geleiteten IGF-D-Sekretariat im Januar initiierte Serie nationaler Multistakeholder-Dialoge, die sich mit aktuellen Governance-Themen wie dem Global Digital Compact befassen oder mit der Vorbereitung des bevorstehenden ICANN79-Meetings, die Ende Februar auf der Agenda stehen wird.

Inwieweit die Bundesregierung den Ansprüchen ihrer neuen Strategie auch auf internationaler Ebene gerecht werden und damit positiv auf die Bewahrung des globalen, offenen, freien und sicheren Internet hinwirken kann, wird DENIC aufmerksam im Blick behalten. Doch unabhängig davon werden wir unser eigenes langjähriges Engagement in den verschiedensten globalen und regionalen Multistakeholder-Foren – ob ICANN, IGF oder IETF – in diesem Sinne unvermindert fortsetzen.

Stefanie Welters

Manager Policy Communications & Public Affairs - DENIC eG