EU-Digitalvorhaben in der nächsten Dekade: CENTR-Plädoyer aus Sicht der DNS-Community

EU-Digitalvorhaben in der nächsten Dekade: CENTR-Plädoyer aus Sicht der DNS-Community

2024 wird ein wichtiges Jahr für die europäische Digitalpolitik: Denn nichts weniger als den Rahmen der legislativen Prioritäten für die kommenden fünf Jahre abzustecken, steht ganz oben auf der Agenda der Entscheidungsträger in Brüssel. Die ehrgeizigen Ziele der Kommission zeigen sich in zahlreichen langfristigen Initiativen: Von Web 4.0 und virtuellen Welten reichen sie bis zur “Declaration for the Future of the Internet“, vom „Digital Decade Policy Program 2030“ bis zur “Declaration on Digital Rights and Principles“.

Grund genug für den Dachverband der europäischen Betreiber von länderspezifischen Top-Level Domains, CENTR, beständig am Puls der digitalpolitischen Vorhaben auf EU-Ebene zu bleiben und aus dem Blickwinkel seiner Verbandsmitglieder regelmäßig zu durchleuchten, welche Auswirkungen sie möglicherweise auf die technische Community und ihre Arbeit haben könnten.

Denn in der Vergangenheit hat sich leider nur allzu oft gezeigt, dass in den einschlägigen EU-Rechtsvorschriften die Expertise ausgerechnet der DNS-Community kaum Berücksichtigung fand. Dabei kommt es gerade auf sie besonders an – ist doch die Infrastruktur, die ihre Akteure betreiben, unverzichtbar, damit das Internet funktioniert. Umso wichtiger also, nun erneut an entscheidender Stelle darauf hinzuwirken, dass die Digitalpolitiker auf EU-Ebene stärker als bisher für die technischen Standards und Protokolle sensibilisiert werden, die das Rückgrat des Internet bilden – und damit Voraussetzung dafür sind, dass das Netz auch in Zukunft verlässlich bleibt. Dazu legte CENTR kürzlich ein Positionspapier vor, das grundlegende Prinzipien zur Sicherung der digitalen Zukunft Europas im kommenden Jahrzehnt formuliert.

Das globale digitale Ökosystem stärken:
Plädoyer an die politischen Entscheider der EU

CENTRs Grundsätze stützen sich auf die jahrelange Erfahrung seiner Verbandsmitglieder – darunter auch die .de-Registry DENIC –, die das Domain Name System (DNS) für ihren jeweiligen nationalen Namensraum im Internet betreiben. Und dabei das Netzwerkprotokoll zugrunde legen, das von ausnahmslos jedem Dienst im Internet genutzt wird.

In seinem Positionspapier appelliert CENTR an die Entscheider in Brüssel, in allen digitalpolitischen Erwägungen und Beschlüssen der kommenden Dekade sechs Kernaspekte zu berücksichtigen, die wesentliche Prämissen aus Sicht der DNS-Community widerspiegeln:

· Interoperabilität unterstützen

Offene Standards, die öffentlich zugänglich und verfügbar sind und in transparenten Prozessen mit breiter internationaler Beteiligung entwickelt wurden, haben dem Internet erst zu seinem Erfolg und seiner Skalierbarkeit verholfen. Deshalb ist es an der Zeit, dass die politischen Entscheidungsträger der EU offene Standards endlich offiziell anerkennen. Auch sollten sie, wo möglich, deren Einsatz in Anwendungen der öffentlichen Hand durch Investitionen fördern – und so ein Internet der nächsten Generation unterstützen, das für Bürger und Unternehmen gleichermaßen offen ist.

· Wettbewerb fördern

Betrifft künftige Gesetzgebung die technische Infrastruktur des Internet, so sollte die EU-Politik technologieneutral bleiben, indem sie auf der Verwendung offener Standards besteht. Vielfältige, dezentralisierte Systeme stellen sicher, dass es keinen Single Point of Failure gibt – und konkurrierende Akteure um die besten Lösungen stärken die allgemeine Widerstandsfähigkeit des Netzes.

· Zugang sicherstellen, Cybersicherheit verbessern

Europa braucht ein regulatorisches Umfeld, das für alle europäischen Bürger und Unternehmen einen wettbewerbsfähigen, zuverlässigen und sicheren Zugang zu grundlegenden digitalen Identifikatoren wie dem Domain Name System ermöglicht – dem Rückgrat des Internet, das die technische Basis aller Onlinekommunikation bildet. Der Anspruch der politischen Entscheidungsträger in Brüssel muss es daher sein, bei der Schaffung neuer Rechtsvorschriften innerhalb der EU stets ein Ziel mitzuverfolgen: bestehende Hindernisse aus dem Weg zu räumen und neue Hürden zu vermeiden, die den einfachen Zugang zu den Basisressourcen des Internet – und damit auch zu Domains – erschweren.

Zugleich sollte die europäische Politik die Zusammenarbeit im Bereich der Cybersicherheit unterstützen, indem sie aktiv den europaweiten Austausch über bewährte Praktiken stärkt, die sich innerhalb der technischen Community, bei den Betreibern der Internet-Infrastruktur, etabliert haben. Ein hohes Niveau an Cyber-Resilienz lässt sich nur dann erreichen, wenn das Know-how aller beteiligten Parteien gebündelt und Initiativen zur Kooperation von öffentlichem und privatem Sektor soweit möglich gezielt gefördert werden.

· Menschenrechte gewährleisten

Neue Rechtsvorschriften in der EU sollten künftig nur dann erlassen werden können, wenn ihnen zunächst eine verpflichtende Folgenabschätzung vorausgeht, die den Einfluss der geplanten Regularien auf die Menschenrechte bewertet – und dabei allgemeine Transparenzgrundsätze zur Anwendung kommen, die für die Öffentlichkeit nachvollziehbar sind. Ein freies und offenes Internet begünstigt naturgemäß den Schutz der Menschenrechte. Somit bedürfen politische Initiativen, die nachweislich Auswirkungen auf die Menschenrechte im digitalen Raum haben, zwingend einer Einschätzung nach dem Multistakeholder-Ansatz, der die Infrastrukturbetreiber miteinbezieht, um ihre technische Durchführbarkeit zu bewerten.

Zugleich ist es unerlässlich, dass die Entscheider in Brüssel in all ihren Entscheidungen an den hohen Datenschutzstandards der EU festhalten. Auch in einer datengetriebenen Wirtschaft müssen die Datensicherheit und die Möglichkeit der EU-Bürger, souverän über ihre persönlichen Daten zu bestimmen, Vorrang vor den Interessen kommerzieller Akteure haben.

· Inhalteregulierung abwägen

Künftige EU-Gesetzesinitiativen, die auf die Löschung oder Sperrung von Online-Inhalten abzielen, müssen vom Prinzip der Verhältnismäßigkeit geleitet sein und den Grundsätzen eines ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahrens folgen. Maßnahmen zur Entfernung von Online-Inhalten, die unter Rückgriff auf Akteure der Domainwirtschaft implementiert werden sollen, müssen geregelten, transparenten Prozessen unterliegen – und dürfen zudem, damit die Einhaltung der Menschenrechte gesichert ist, ausschließlich durch formal zuständige öffentliche Stellen veranlasst werden. Die europäischen Gesetzgeber sollten somit von legislativen Eingriffen absehen, die nicht auf einer umfassenden und öffentlich zugänglichen Beweisgrundlage beruhen.

Auch hat sich die europäische Internet-Infrastruktur in der Vergangenheit als zuverlässig und sicher erwiesen. Will Gesetzgebung – ganz gleich, ob direkte oder indirekte – Eingriffe auf der Ebene der Internet-Infrastruktur nutzen, um verschiedenste gesellschaftliche Probleme zu lösen, so darf dies nicht ohne faktengestützte Forschung geschehen, die im Vorfeld die Auswirkungen solcher Maßnahmen auf die offene Gesellschaft untersucht.

· Multistakeholder-Prozesse der Internet Governance stärken

Ohne die kontinuierliche Unterstützung des Multistakeholder-Modells der unabhängigen Selbstverwaltung des Internet, wie es innerhalb der globalen Internetverwaltungsorganisation ICANN verankert ist, aber auch im Internet Governance Forum (IGF) der Vereinten Nationen und seinen regionalen und nationalen Ablegern wie dem IGF-D praktiziert wird, hat das offene und freie Internet keine Zukunft.

Die EU muss sich daher klar und dauerhaft zum Multistakeholder-Modell bekennen, indem sie sich aktiv daran beteiligt und seine Bedeutung für das Internet der nächsten Generation hervorhebt. Mehrgleisige parallele Governance-Prozesse, die darauf abzielen, Fragen der globalen Internetverwaltung über nationale oder regionale Rechtsvorschriften oder über multilaterale Gremien zu regeln, bergen die Gefahr einer technischen Fragmentierung des Netzes, die unweigerlich eine Schwächung seines universellen Charakters zur Folge hätte.

Kurzum:

Es kommt auf die nächste Generation von EU-Politikern an, das Internet mit all seinen Ebenen ganzheitlich zu betrachten und so zur Stärkung des gesamten globalen digitalen Ökosystems beizutragen. Andernfalls ist die Zukunft des Internet ungewiss.

Gemeinsam mit der gesamten CENTR-Community schließt DENIC sich diesen Grundsätzen ausdrücklich an und wird die Policy-Entwicklung und das regulatorische Umfeld auf der EU-Ebene auch in Zukunft aufmerksam beobachten und eng begleiten.

Möchten Sie das Thema noch weiter vertiefen? Dann lesen Sie das ausführliche Positionspapier "Towards a Stronger Internet", das CENTR auf seiner Website veröffentlicht hat.

Stefanie Welters

Manager Policy Communications & Public Affairs - DENIC eG